Unterwegs jenseits des Polarkreises
Hoch im Norden Europas gibt es mit der Erzbahn Kiruna – Narvik eine der faszinierendsten Eisenbahnstrecken des Kontinents. Matthias Röseler berichtet über seine Reisen zu dieser Bahn, seine Erlebnisse vor Ort und gibt Tipps für die Planung eines Aufenthalts jenseits des Polarkreises.
Es gibt wohl für jeden Eisenbahnfreund Strecken auf dieser Welt, von denen eine ganz eigene und subjektiv empfundene Faszination ausgeht. Mich faszinierte schon lange die jenseits des Polarkreises gelegene Erzbahn vom norwegischen Kiruna ins schwedische Narvik.
Einerseits lockten die urigen dreiteiligen Elloks mit ihren „ellenlangen“ Zügen, andererseits versprachen die in der Literatur oder in diversen Foren veröffentlichten Fotos eine grandiose Landschaft. Allein … die Bahn ist sehr weit weg und deshalb wahrlich kein Ziel für einen spontanen Wochenendtrip!
So blieb zunächst nur der Wunsch, irgendwann mal dorthin zu reisen. Auch das Erscheinen der neuen Lokgeneration dort oben machte die Entscheidungsfindung eines Aufenthaltes bei der Erzbahn nicht leichter, bis um das Jahr 2009 im Kreise einiger Modellbahnfreunde plötzlich die Idee aufkam, doch einmal die Erzbahn als Reiseziel einzuplanen, zumal auch das Ende der Dm3-Elloks nun unmittelbar bevorstand. Die Zeit drängte also, wenn wir die 7.200-kW-starken Stangenelloks noch im Einsatz erleben wollten. Was lag also näher, als den Trip in den hohen Norden in einer Gruppe guter Freunde zu wagen. Der Termin der ersten Reise wurde auf den Juni 2010 festgelegt, und die Planungen konnten beginnen.
Es sollte sich zeigen, dass eine gute Planung für ein solches Vorhaben unerlässlich ist. Unser Reiseleiter Torsten Stein aus Roßwein hatte schon mehrfach solche Gruppenreisen in diese Region veranstaltet und erwies sich als ein exzellenter Planer. So war zum Beispiel die Übernachtungsfrage zu klären. Und mit dem Fjällby-Resort in Bjorkliden hatten wir einen echten Glückstreffer gelandet. So ist es u. a. diesem Quartier am Fuße des Lappentores zu verdanken, dass der ersten Reise noch weitere folgen sollten. Denn allein der Blick aus dem Bungalow auf die berühmte Felsformation des Lappentores entschädigt(e) für alle Strapazen. Hinzu kam, dass wir von der Unterkunft aus auch einen hervorragenden Blick auf die Strecken hatten, der es ermöglichte, so manchen Zug mit dem Fernglas schon 45 Minuten vor der Ankunft in Bjorkliden zu sichten. |
Bei aller Euphorie durfte selbstverständlich die Frage der Verpflegung vor Ort nicht unbeantwortet bleiben, was zum damaligen Zeitpunkt mit sehr weiten Wegen verbunden war: Den nächsten Supermarkt gab es in Kiruna – immerhin 100 km weit entfernt. Da wäre es zu dumm, beim Einkaufen die Butter zu vergessen …
Unser Reiseleiter hatte im Vorfeld die gesamte Strecke bis Narvik durchgearbeitet und alle Fotostellen herausgearbeitet, die er finden konnte. Das bekannte, heute längst vergriffene und nur noch für „Liebhaberpreise“ erhältliche Buch „Malmbana“ von Wolfgang Pischek war in diesem Fall das Vorbild.
Wir hatten uns vorgenommen, nach der Ankunft in Kiruna die Mietwagen zu holen, einzukaufen und dann direkt zur Unterkunft zu fahren – egal, ob unterwegs ein Zug gesichtet würde oder nicht. Dieser Vorsatz hielt – Sie ahnen es – nur ca. 20 km …
Bereits die ersten Kilometer zeigten uns eindrucksvoll, mit welchen Dimensionen wir es hier zu tun hatten: Die Weite der Landschaft nimmt einen sofort in den Bann. Das wird noch verstärkt, wenn man im Herbst dort vor Ort ist: Gelbe Birkenwälder, soweit das Auge reicht. Und irgendwo da drin fährt ein Zug mit 68 Wagen. Diese Eindrücke sorgten bei allen späteren Fahrten stets für ein eigenartig wohltuendes Gefühl, welches alle Reiseteilnehmer immer wieder aufs Neue in Beschlag nahm.
Mittlerweile sind es vier Reisen zur Erzbahn geworden. Stand am Anfang die „Fotojagd“ im Vordergrund, ist es mittlerweile eher das Reiseerlebnis in der Gruppe, was zählt. Mit der Zeit lernten wir die Strecke gut kennen, und jeder Teilnehmer entdeckte seinen ganz speziellen Lieblingsabschnitt.
Nach der Reise im Jahr 2010 kam dann relativ plötzlich das Aus für die Dm3. Wir hatten also großes Glück mit unserer Terminwahl.
Die Dm3 gibt es nun nicht mehr, aber wir hatten dennoch Gefallen an der Strecke gefunden. Und der Fahrzeugeinsatz war (und ist) trotzdem weiterhin interessant. Neben den Erzzügen mit den IORE gibt es zwei IC –Zugpaare. Eines davon ist der Nachtzug Stockholm – Kiruna – Narvik, bespannt mit den Rc der SJ, während Green Cargo mit dem Nahgüterzug nach Narvik präsent ist und es an einzelnen Tagen auch einen norwegischen Containerzug nach Narvik gibt. Obwohl es entlang der Erzbahn zahlreiche Motive gibt, die wir noch nicht umgesetzt hatten, zog es mich immer wieder an dieselben Stellen. Das sind zuerst die beeindruckenden Bahnhofsgebäude von Torneträsk und von Vassijaure. Diese Backsteinbauten stehen trutzig im Nichts und bieten im mer einen beeindruckenden Kontrast zur schier unendlichen Weite der Landschaft.
Ein weiterer Höhepunkt ist die Gegend um Bjönfjell bis zur Norddalsbrücke auf der norwegischen Seite der Erzbahn, wo die Strecke durch eine sehr felsige Hochfläche führt, die mit Unmengen Wochenendhäusern bebaut ist. Es scheint eine Art Naherholungsgebiet für Narvik zu sein, denn erst zum Wochenende hin zieht in die Siedlung Leben ein. Umso erstaunter waren wir, als wir unter der Woche dort eine Kindergartengruppe beim Wandern erlebten. Diese kam übrigens mit dem Zug von Narvik hinaufgefahren …
Ab der Norddalsbrücke beginnt in Richtung Narvik der Abstieg zum Meer. Hier schmiegt sich die Strecke – mit vielen Schnee- und Geröllschutzgalerien – dicht an die Berghänge. Der Bahnhof Katterat liegt direkt am Berg zwischen zwei Tunneln. Für Zugkreuzungen wurde dort ein zusätzlicher Tunnel im Berg parallel zum Bahnhof angelegt. Kurz vor Rombak liegt der berühmte Blick auf den gleichnamigen Fjord mit der Eisenbahn im Vordergrund. Dieses bekannte Fotomotiv übte von Anfang an eine große Anziehungskraft auf uns aus. Ausgerechnet dieser reizvolle Abschnitt ist allerdings nicht über den Bahnparallelweg zu erreichen, was zu lebhaften Diskussionen führte, wie wir denn nun an diese Stelle kommen sollten. Denn es wird ausdrücklich davor gewarnt, über die Gleise dorthin zu laufen. Das versteht sich natürlich von selbst, zumal – wenn sich Personen im Gleisbereich aufhalten – auf der gesamten Strecke der Zugverkehr sofort unterbrochen und die gemeldete Person gesucht wird. Das kann auch mal per Hubschrauber erfolgen. Über die Höhe der Rechnung eines solchen Einsatzes möchte ich gar nicht erst nachdenken. Also: Kein Risiko eingehen! Es blieb nichts weiter übrig, als vom Bahnhof Rombak aus einen weiten Fußmarsch weit oberhalb der Bahn zu absolvieren. Hier galt es dann, frühzeitig aufzubrechen, denn wir rechneten mit ca. zwei Stunden Anmarschzeit. Der Weg führte im wahrsten Sinne über Stock und Stein und durch nasses Gras. An der ausgesuchten Stelle angekommen, eröffnete sich ein grandioser Blick über den Fjord und die sich daran anschließenden Berge. Vergessen waren all die Strapazen der Wanderung, und so hielten wird uns den ganzen Tag dort auf und genossen neben dem Fotografieren einfach den Blick auf diese wunderschöne Landschaft. |
Am Abend fanden sich dann alle wieder in der Herberge ein. Als letzte kamen meist die Wanderer – erschöpft, aber glücklich. Die Fotografen sichteten ihre Bilder, beklagten sich über verpasste Chancen oder freuten sich über die gelungenen Aufnahmen. Die Wanderer erzählten von ihren Erlebnissen und zeigten ihre Bilder des Tages, die – interessensbedingt – weniger mit der Eisenbahn zu tun hatten, aber allemal sehenswert und vielfach sogar besser waren.